Da man mit der Mobilfunk- und und der meist überfordernden Informationstechnologie das innere Seelenleben leicht wie zersplittert oder überrollt erlebt, halte ich eine aktive Seelenhygiene heute für sehr wichtig. So wie eine belebende, sportliche Aktivität, wie etwa ein kleiner, täglicher Waldlauf die Muskulatur, Kreislauf und Ausdauer trainiert, so stärken Seelenübungen die Gedankenbildekraft, das Empfindungsvermögen und eine zielgerichtete Willensumsetzung. Wenn man zum Beispiel einen konkreten Gedanken klar und verständlich mit Worten darstellen kann, so kann von einer größeren "Seelenkraft" gesprochen werden, als wenn man nur viele zusammenhanglose Sätze, emotionale Bewertungen oder sogar manipulative, suggestive Intentionen aus sich heraussprudeln lässt. Die Seelenkraft des Denkens wird beispielsweise trainiert indem man die Inhalte eines Textes oder eines Gespräches noch einmal so mit eigenen Worten wiederholt, wie sie vom Autor oder Redner in der Reihenfolge und der Bedeutung gegeben sind. Diese innere Eigenaktivität bewirken ein klareres, inneres Erleben und eine differenziertere Anteilnahme an der Welt. Ausgangspunkt allen Übens muss jedoch eine verantwortungsvolle Absicht sein, da die Seelenkräfte auch auf negative oder egoistische Weise eingesetzt werden können.
Der Begriff "Seelenkraft" findet sich schon im "Faust" von J.W. v. Goethe und wurde von Rudolf Steiner in dessen Anthroposophie weiter ausgeformt. Die Seelenübungen haben in den letzten 30 Jahren durch die Ausgestaltungen von Heinz Grill in den praktischen Alltag vieler Menschen gefunden. Sie fördern die Gedankenklarheit, ein objektiveres Empfinden zur Außenwelt und eine zielgerichtetere Handlungskraft und wirken sich in diesem Zusammenhang sicherlich günstig im verantwortungsvollen Umgang mit dem Mobilfunk und der digitalen Welt aus. An dieser Stelle können nur einige wenige Aspekte beschrieben werden. Eine umfassende Ausgestaltung dieses Themas wäre wohl eine Lebensaufgabe für sich. Wer Seelenübungen in ihrer geistigen Dimension erfassen will, dem sei hier die Originalliteratur von Rudolf Steiner und vor allem Heinz Grill empfohlen (z.B. [1]).
... vor dem Telefonieren
Die allgegenwärtige Erreichbarkeit verleitet dazu, dass man vorschnell zum Telefon greift und zum Gesprächspartner nur noch eine sehr oberflächliche Beziehung aufbaut, die sich oft auf den Austausch von Informationen oder emotionalen Gefühlen beschränkt.
Hier könnte man vor dem Anruf für einige Minuten innehalten, sich ruhig und aufrecht neben dem Telefon auf einen Stuhl setzen und sich wesentliche Fragen über den Anderen und das gemeinsame Thema stellen:
- In welcher Situation befindet sich wohl der Gesprächspartner im Augenblick? Ist der Zeitpunkt zum Anrufen günstig?
- Mit welchen Gedanken, Wahrnehmungen und Inhalten ist man beim letzten Gespräch auseinander gegangen?
- Kann man vielleicht an diesen Inhalten anknüpfen?
- Wie ist das Anliegen des Anrufes genau? Was soll im schöpferischen Sinne entstehen?
Wichtig bei diesen Fragen ist, dass sich möglichst keine manipulativen Absichten oder subjektive Projektionen in die Betrachtung hineinmischen. Im Mittelpunkt soll ein gegenseitig förderliches Gespräch sein, bei dem beide gemeinsam und wechselseitig den Inhalt aufbauen, vertiefen und realitätsnahe Empfindungen bilden.
Das rechte Urteil
Ein realitätsnahes, empfindungsreiches Bild von einem Menschen kann über die digitalen Medien nicht so leicht entwickelt werden. Diese Seelenübung führt den Wert des direkten Gegenübertretens von Mensch zu Mensch wieder mehr ins Bewusstsein. Sie fördert einerseits die Empathiefähigkeit und andererseits die Kapazität, die eigene subjektive Welt zu überschreiten und sich in die Welt des Gegenübers hinein zu versetzen bis dahin, dass man sich selbst aus der Perspektive des Gegenübers heraus erlebt. Ziel ist also nicht ein klassisches Beurteilen das von einem Urteilenden ausgeht und sich auf einen Beurteilten hinrichtet. Das Ziel ist eher dass man seine alten Urteilsstrukturen zurücklässt und einen freien Blick auf eine Gesamtsituation entwickelt:
Die praktische Ausführung bietet sich gut am Abend an. Hier können wesentliche Begegnungen des Tages noch einmal intensiver nacherlebt werden. Nehmen Sie dazu eine aufrechte Sitzposition ein, die Sie für etwa zehn Minuten bequem und ruhig halten können. Die Erinnerung wird dann auf eine Person gerichtet, der man während des Tages begegnet ist. Für den Beginn des Übens ist es günstig, wenn man sich Begegnungen auswählt, die frei von emotionalen Interaktionen, begehrlichen Sympathien oder starken Antipathien stattgefunden haben. Stellen Sie sich zuerst die Umgebung und die Umstände vor in denen die Begegnung zustande kam. Im zweiten Schritt kann ein klares praktisches Bild der Person aufgebaut werden das von der rein äußeren Erscheinung bis hin zur inneren moralischen Gesinnung reichen kann. Hilfreich ist dazu die Beantwortung einfacher Fragen wie:
- Wie war die Person gekleidet? Wie waren die Bewegungen, die Aufrichtekraft und die äußere Haltung?
- Was waren die Inhalte der Begegnung und des Gespräches? War ein Thema im Zentrum oder war es zerstreuend?
- Wie wurden die Worte gesprochen? Waren sie zum Beispiel nüchtern, freilassend, erbauend oder waren sie gefühlsbeladen, bedrängend?
- Welche Intentionen lagen der Begegnung zugrunde?
- Was ist entstanden?
Mit solchen Fragen wird im Inneren ein reichhaltiges Bild aus Erinnerungen, Empfindungen und Erkenntnissen wachsen, das dem Betrachter eine größere Objektivität bietet, als wenn er noch im Alltagsgeschehen untergetaucht ist. Man wird merken, dass mit diesen Betrachtungen eine kräftigende, inhaltsvolle Substanz von Außen zufließt, die man gerne weiter bearbeiten möchte. Somit steigert sich einerseits das Einfühlungsvermögen für die Mitmenschen und andererseits wächst im eigenen Inneren ein Potential und Interesse sich weiter mit der Außenwelt zu verbinden.
Die Übung findet in einem dritten Schritt zu ihrem eigentlichen Ziel, wenn man sich nach diesem Hineinversetzen in den Gesprächspartner sozusagen umdreht und aus dessen Sicht sich selber betrachtet und frägt: Wie hat mich diese Person erlebt? Auch hier könnte man die obigen Inhalte wählen. Als Resultat wird sich einem wie eine neue Standortbestimmung eröffnen. Vielleicht mag einem diese manchmal erschrecken. Im Gesamten wird sie aber für das Miteinander sehr förderlich wirken und den Wert der direkten Begegnung von Mensch zu Mensch steigern. Man wird dann automatisch oberflächliche Telefonkontakte reduzieren oder den mail-Verkehr und sogenannte "soziale" Medien auf ein notwendiges Mindestmaß beschränken.